Biozide

Endokrine Eigenschaften von bioziden Wirkstoffen

Schon seit geraumer Zeit kommt es verstärkt zu Verzögerungen und Problemen durch das Bewerten der endokrinen Eigenschaften (endokriner Disruptoren (ED)) bei Genehmigungen biozider Wirkstoffe und somit bei der Zulassung von Biozdprodukten.

Überarbeite und aktualisierte Version des gleichnamigen Beitrages aus der FARBE UND LACK 03.2023. FARBE UND LACK ist die führende Medienmarke für deutschsprachige Fachinformationen für die Lackindustrie.

6 Min.

20.08.2024
Ein Notebook mit einem Paragrafen auf dem Display

Die Bewertung der endokrinen Eigenschaften ist im Bereich der Biozidprodukte-Verordnung (BPR) eine große Herausforderung. Bereits in der Vergangenheit war, durch die unterschiedlichen und komplexen Wirkweisen in verschiedenen Organismen und zum Teil schwer interpretierbaren Studienergebnissen, eine klare Bewertung der endokrin-schädigenden Eigenschaften schwierig.

Auswirkungen auf das Hormonsystem

Endokrine Disruptoren (ED) haben das Potenzial, das natürliche Hormonsystem (Abb. 1) von Mensch und Tier zu stören, mit negativen Folgen für Gesundheit und Entwicklung. Die Möglichkeiten, wie sich ein Stoff negativ auf das Hormonsystem auswirkt, sind dabei vielfältig und teilweise schwer nachzuweisen. Im sog. ED-Assessment werden die östrogenen, androgenen, thyroiden und steroidogenen Wirkungsweisen (EATS) eines Stoffes bewertet. Ein wesentlicher und herausfordernder Teil der Bewertung ist es, eine plausible biologische Verknüpfung zwischen der endokrinen Aktivität und einem schädlichen Effekt herzustellen.

In vielen Fällen ist die endokrinschädliche Wirkung dabei nicht sofort zu erkennen, sondern erst nach chronischer Exposition oder sogar erst in den nachfolgenden Generationen. Ein weiteres Problem bei ED ist, dass sie häufig schon in sehr geringen Konzentrationen wirksam sind und es zu additiven Effekten mit bereits in der Umwelt vorhandenen ED kommen kann. Da sich die hormonellen Systeme verschiedener Spezies erheblich unterscheiden, kann ein Stoff, der für Säugetiere kein ED ist, Effekte bei anderen Spezies wie bspw. Fischen oder Insekten auslösen.

Verzögerungen in regulatorischen Prozessen durch die Bewertung endokriner Eigenschaften

Bereits seit 2018 müssen alle bioziden Wirkstoffe, die sich bis zu diesem Zeitpunkt noch im Überprüfungsprogramm für Altwirkstoffe befanden, nach speziellen Kriterien gemäß der Leitlinie „Guidance for the identification of endocrine disruptors in the context of Regulations (EU) No 528/2012 and (EC) No 1107/2009“ bewertet werden, um eine Aussage zur endokrinschädlichen Wirkung treffen zu können.

Neben der Überprüfung der Wirkstoffe muss darüber hinaus für die Zulassung biozider Produkte ein ED-Assessment aller enthaltenen Beistoffe vorgelegt werden – unabhängig von ihrer Konzentration im Produkt. Dies führt ebenfalls zu Problemen bei der Bewertung, da die Hersteller von Biozidprodukten nicht immer alle Gemische in ihren Produkten in ihrer 100%igen Zusammensetzung kennen.

Bis heute konnten erst 47 % aller bioziden Wirkstoffe vollständig überprüft werden (Stand 12/2023). Aufgrund dessen wurde das Review-Programm im März dieses Jahres von der europäischen Kommission bis zum 31.12.20230 verlängert. Eine Ursache für die Verzögerung ist die komplexe Bewertung der endokrinen Eigenschaften von bioziden Wirkstoffen.

Keine abschließenden Bewertungen

Seit der Einführung des ED-Assessments konnte für eine ganze Reihe biozider Wirkstoffe, trotz aufwändiger Literatur-Reviews und Untersuchungen, bisher keine abschließende Bewertung getroffen werden. Ein prominentes Beispiel ist die Bewertung zweier Formaldehyd-abspaltender Wirkstoffe für die Topfkonservierung (PT 6): Die für die Bewertung zuständige Behörde in Österreich führte ein ED-Assessment anhand der vorliegenden Daten zu Formaldehyd durch, konnte jedoch keine abschließende Bewertung vornehmen.

Durch die zahlreichen toxischen Eigenschaften von Formaldehyd (u. a. H314 ätzend, H341 vermutlich mutagen, H350 kann Krebs erzeugen), die sich schon bei geringen Konzentrationen zeigen, war es nicht möglich, eine sekundäre endokrine Wirkweise von den anderen bekannten toxischen Wirkweisen abzugrenzen und zweifelsfrei zu belegen. Darüber hinaus ist Formaldehyd Teil des natürlichen Stoffwechsels und daher auch unabhängig vom Einsatz als biozider Wirkstoff im Organismus vorhanden. Die Dosierung des Stoffes muss bspw. niedrig genug sein, um die bekannten nicht-endokrinen Wirkweisen nicht auszulösen, aber hoch genug, um sich von den endogenen Formaldehydkonzentrationen zu unterscheiden. Dies kann insbesondere im aquatischen Bereich, z. B. in Fischstudien, ein großes Problem darstellen.

Für die beiden Wirkstoffe konnten im Rahmen der Bewertung der endokrinen Eigenschaften keine Aussagen über die Erfüllung dieses Ausschlusskriteriums nach Art. 5 der BPR getroffen werden. Im Fall von Formaldehyd ist dieser Punkt jedoch bereits durch andere toxische Eigenschaften erfüllt.

Erfahrungen berücksichtigen

Das Verständnis über die Bedeutung von ED für die menschliche Gesundheit und die Umwelt hat durch intensive Forschungsarbeit in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht. Der Vorstoß der EU, in Zukunft endokrinschädliche Eigenschaften von Stoffen gesondert einzustufen, ist daher als ein wichtiger Schritt hin zu einem sichereren Umgang mit Chemikalien anzusehen. Allerdings kommt es seit der Einführung des ED-Assessment 2018 in laufenden regulatorischen Prozess der Genehmigung/Nicht-Genehmigung von bioziden Wirkstoffen zu enormen Verzögerungen und somit auch zu Verzögerung bei der Zulassung von Biozidprodukten gem. BPR.

Im Zuge der jüngsten Bestrebungen, das Review-Programm hinsichtlich der Bewertung endokriner Eigenschaften zu beschleunigen, hat die ECHA den Antragstellern eine strenge Frist zum Einreichen noch fehlender Daten vorgegeben. Demnach sollen alle fehlenden Daten bezüglich des ED-Assessments bis zum 31.12.2026 beim bewertenden Mitgliedsstaat eingereicht sein. Darüber hinaus müssen die Mitgliedsstaaten bis zum 30.06.2024 noch fehlende Daten bei den Antragstellern anfordern. Mit dieser knappen Frist zum 31.12.2026 ist für viele Antragsteller der bisher vorgegebene gestufte Ansatz zur Bewertung der endokrinen Eigenschaften, aus Literatur-Review zu vorhandenen Daten, Vorhersage-Modellen, In-vitro-Studien und wenn notwendig daran anknüpfende Tierstudien gemäß “Guidance for the identification of endocrine disruptors in the context of Regulations (EU) No 528/2012 and (EC) No 1107/2009“, nicht mehr möglich. Vor allem die begrenzten Laborkapazitäten für die komplexen und kostenintensiven Tests zur Bewertung der endokrinen Eigenschaften, stellt viele Antragsteller vor enorme Herausforderungen und macht die Einhaltung der Vorgaben schwierig.

Beispiele für Angriffsmöglichkeiten endokriner Disruptoren in Hormonsignalkaskaden (vereinfachte Darstellung).

Mandy Schneider | Expertin für Ökotoxikologie sowie Expositions- und Risikobewertung

Unsere Empfehlung

Bezüglich der oben genannten Frist (31.12.2026) sollten Antragsteller von bioziden Wirkstoffen prüfen, ob sie von der bewertenden Behörde bezüglich der Daten zu endokrinen Eigenschaften bereits Nachforderungen erhalten haben. Wenn nicht, sollte dies nachgefragt werden, da die Durchführung solcher Studien z.T. sehr langwierig sein kann.

Wir als UMCO führen für Sie die Bewertung der endokrinen Eigenschaften gemäß „Guidance for the identification of endocrine disruptors in the context of Regulations (EU) No 528/2012 and (EC) No 1107/2009“ durch und unterstützen Sie beim Screening der endokrinen Eigenschaften von chemischen Stoffen in ihren Biozidprodukten.

Darüber hinaus koordinieren wir den gesamten Genehmigungs-/Zulassungsprozess und übernehmen für Sie die Kommunikation mit Behörden. Wir erstellen Ihre Dossiers inkl. der notwendigen Risiko- und Expositionsbewertungen, erarbeiten Teststrategien, und unterstützen Sie bei der Beauftragung von Laboratorien.

Unser Beratungsansatz

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