Gefahrgut

Notfälle effektiv bewältigen: Die Rolle des Emergency Responders

Die Herausforderungen bei einer telefonischen Beratung zu Chemieunfällen sind komplex. Im Interview beschreibt Senior Emergency Responder James Smith, wie Notfälle bewertet und umsetzbare Ratschläge gegeben werden. Hierbei wird besonders die Bedeutung einer fundierten Ausbildung hervorgehoben und betont, wie notwendig spezifische Schutzmaßnahmen sind, um die Sicherheit von Einsatzkräften und Öffentlichkeit zu gewährleisten.

9 Min.

31.07.2024

Das A und O eines jeden telefonischen Notfalldienstleisters ist die Fähigkeit, den von einem Vorfall betroffenen Personen wirksam zu helfen. Dies bedeutet, dass nicht nur Informationen aus dem Sicherheitsdatenblatt bereitgestellt werden, sondern umfassendes Wissen und Erfahrung eingesetzt wird, um umsetzbare Ratschläge zu geben, die auf die Umstände am Ort des Geschehens und den Anrufer zugeschnitten sind.

Unser Partner Ricardo (vormals NCEC), welcher für uns die Dienstleistung der 24h-Notfallnummer erbringt, verfügt über ein starkes Team von chemisch geschulten Expert*innen für die Notfallberatung mit vielfältiger Erfahrung in der Beratung und Betreuung von Notrufen weltweit.   

James Smith, einer der Senior Emergency Responder, erzählt von einem seiner vergangenen Anrufe und berichtet davon, wie er dem Anrufer umsetzbare Ratschläge geben konnte.

Informationen erhalten und bewerten

James, Sie haben vor kurzem auf einen Vorfall reagiert, bei dem es um beschädigte Ladung auf einem Lkw ging. Können Sie uns die Situation einmal schildern?

Ich erhielt einen Anruf von einem Ersthelfer, der zu einem beschädigten Lkw mit verschiedenen Gefahrgütern gerufen wurde. Er konnte erkennen, dass mindestens ein Versandstück undicht war, aber aufgrund der Größe des Flecks auf dem Asphalt vermutete er, dass noch weitere Güter beschädigt gewesen sein müssen. Meine Aufgabe war es nun, ihm per Telefon zu helfen, den Vorfall unter Kontrolle zu bringen und das ausgelaufene Gut zu beseitigen.

Was waren Ihre ersten Gedanken?

Mein erster Schritt ist immer, die Gefahren der betroffenen Produkte zu verstehen. Bei Ricardo verwenden wir hierfür unsere maßgeschneiderte Software, um auf ein Sicherheitsdatenblatt zuzugreifen, wenn ein Produktname angegeben wird oder um Ratschläge auf der Grundlage der UN-Nummer im Zusammenspiel mit unserer internen Datenbank „Chemdata“ zu erteilen.

Dieser Vorfall war allerdings komplizierter, da die Ladung aus unterschiedlichen Gefahrgütern bestand und noch unklar war, welches Produkt auslief, so dass wir alle Eventualitäten berücksichtigen mussten. In diesem Fall beschafften wir uns mehrere Sicherheitsdatenblätter der zur Fracht gehörenden Güter und konnten anhand der nun vorliegenden Daten das Worst-Case-Szenario ermitteln.

Da die Möglichkeit bestand, dass mehrere Chemikalien ausgetreten sein konnten, mussten wir mögliche Wechselwirkungen zwischen den Produkten in Betracht ziehen. Hierzu verglichen wir die vorliegenden Sicherheitsdatenblätter, um festzustellen, ob es zu erwartende Reaktionen geben könnte. Bei drei Produkten wäre dies nicht allzu kompliziert, aber bei acht, neun oder zehn Produkten steigt die Zahl der zu berücksichtigenden Kombinationen exponentiell an.

Die richtigen Fragen stellen

Was haben Sie als Nächstes getan, nachdem Sie die Informationen aus den Produktunterlagen wie z. B. den Sicherheitsdatenblättern geprüft hatten?

Für unsere Anrufenden ist es zwar wichtig, die Gefahren der Produkte zu verstehen, mit denen sie zu tun haben, unsere Hauptaufgabe ist es aber, umsetzbare Ratschläge zu geben. Deshalb stelle ich viele spezifische Fragen zum Zwischenfall, damit ich den Kontext und das, was der Anrufer sieht, besser verstehen kann.

In diesem Fall waren es einige Fragen, die ich zur auslaufenden Verpackung gestellt habe: Wie hat sich das ausgelaufene Produkt ausgebreitet – war es in Richtung der Kanalisation, eines Wasserlaufs oder einer Zündquelle? Welche Wetterbedingungen herrschen vor Ort, z. B. Windrichtung, regnet es? Gibt es Anzeichen für eine Vermischung verschiedener Produkte? Oder gibt es irgendwelche Anzeichen für eine Reaktion? Dieser letzte Punkt kann schwer zu erkennen sein, da nicht alle Reaktionen sichtbar sind.

Wir erläutern dem*der Anrufenden, wie er*sie die Anzeichen einer Reaktion auf sichere Weise erkennen kann: Können Sie etwas hören? Können Sie Blasen sehen? Gibt es einen erkennbaren Geruch? Um das Risiko zu minimieren, bitten wir den*die Anrufer*in im Allgemeinen nicht, etwas zu fühlen oder zu berühren. In diesem Fall schien es eine Reaktion zwischen den Produkten zu geben, da der Anrufer einige Blasen in der Mischung sehen konnte und ein Geruch von der verschütteten Flüssigkeit ausging.

Zusammenhänge richtig verstehen

Warum müssen Sie die Rahmenbedingungen und äußeren Umstände vor Ort erfassen?

Unsere Priorität ist es, umsetzbare Ratschläge zu geben, die für den Vorfall angemessen sind. Wenn wir die Zusammenhänge nicht verstehen, ist eine Beratung nicht möglich. Ein entscheidender Teil unserer Aufgabe besteht darin, wirksame Befragungsstrategien anzuwenden, um sicherzustellen, dass wir immer alle erforderlichen Informationen über den Zwischenfall von denjenigen erhalten, die vor Ort sind.

Bei diesem Anruf ging es dem Anrufer zunächst nur um die Frage, wie das verschüttete Produkt zu beseitigen sei. Aber auf Grund der Tatsache, dass mehrere Produkte beteiligt waren und es offenbar zu einer Reaktion gekommen war, ging es uns bei diesem Vorfall nicht nur darum, Ratschläge zur Reinigung zu erteilen, sondern auch zu klären, ob und wie dies sicher zu bewerkstelligen ist.

Schutz von Öffentlichkeit und Einsatzkräften steht im Vordergrund

Nachdem Sie nun alle Informationen über den verschütteten Stoff vom Anrufer erhalten und die Produktinformationen geprüft hatten, was war Ihr nächster Schritt?

Ein wichtiger Teil besteht nun darin, festzustellen, welche Hilfe der*die Anrufer*in tatsächlich benötigt. Je nachdem, wie viel Erfahrung der*die Anrufer*in hat, nutzen wir unterschiedliche Ansätze. Wenn wir zum Beispiel mit einem erfahrenen Feuerwehrmann sprechen, könnte sich die Unterstützung auf die gemeinsame Vereinbarung eines taktischen Vorgehens konzentrieren.

Das Gegenteil ist der Fall, wenn der*die Anrufer*in weniger Erfahrung mit chemischen Produkten hat und wir zunächst deeskalierend und beruhigend auf ihn*sie einwirken müssen, um dann Schritt für Schritt Ratschläge zur Bewältigung der Situation zu geben.

Bei diesem Vorfall konnten wir feststellen, dass zwei der beförderten Produkte (Natriumhypochlorit und Natriumbisulfat) ausliefen. Es gab sichtbare Anzeichen für eine Reaktion und wir stellten fest, dass dies zur Freisetzung von Chlorgas führen könnte. Da dieses Gas giftig und ätzend ist, wiesen wir darauf hin, dass gasdichte Schutzanzüge getragen werden müssen.

 Auch wenn das einzelne Sicherheitsdatenblatt nahelegte, dass ein chemikalienbeständiger Anzug ausreichen würde, um eine Exposition der Haut während der Aufräumarbeiten zu verhindern, hätte dieses Maß an persönlicher Schutzausrüstung (PSA), aufgrund der offensichtlichen Reaktion zweier oder mehrerer Chemikalien, wahrscheinlich dazu geführt, dass eine Reihe von Einsatzkräften einem giftigen und ätzenden Gas ausgesetzt gewesen wäre. Unser Ratschlag, gasdichte Anzüge zu nutzen, führte zwar zu einer Eskalation des Einsatzes vor Ort, stellte aber sicher, dass die Öffentlichkeit in einem sicheren Abstand gehalten wurde und die Einsatzkräfte bei der Beseitigung des Zwischenfalls die angemessene PSA zum Schutz ihrer Gesundheit verwendeten.

Information an den Kunden und detaillierter Notfallbericht

Sie haben sich also vergewissert, dass der Anrufer die Ratschläge verstanden hat und der Vorfall unter Kontrolle ist. War Ihre Unterstützung damit beendet?

Nein, es gibt noch einige weitere Überlegungen, die wir anstellen müssen, bevor wir unsere Beteiligung beenden. Mit unseren Kunden haben wir grundsätzlich immer durch eine Notfallprozedur Kriterien vereinbart, wann wir sie unverzüglich über einen Vorfall informieren. Diese können von Faktoren wie dem Ausmaß des Vorfalls und dem möglichen Medieninteresse abhängen. Wenn eine Benachrichtigung erforderlich ist, werden wir dies sofort tun.

Für alle Vorfälle verfassen wir abschließend einen detaillierten Bericht. Dieser wird an unsere Kunden geschickt, damit sie über den Vorfall, die Geschehnisse vor Ort und die von uns geleistete Unterstützung informiert sind. Der Bericht stellt auch sicher, dass alle Mitglieder unseres Teams Zugang zu Informationen über den Vorfall haben, falls Folgeanrufe eingehen.

Aufgrund der Schwere dieses Vorfalls, der Beteiligung der Rettungsdienste und der potenziellen Gefahr für die Öffentlichkeit haben wir unseren Kunden umgehend kontaktiert und informiert. Im Bericht über den Anruf haben wir Informationen über den Vorfall, die verschütteten Flüssigkeiten und die Art und Weise, wie wir unseren Ratschlag formuliert haben, aufgenommen und erklärten abschließend, wie wir zu den Schlussfolgerungen über die Reaktionen oder Risiken kamen und wie wir diese in die vorgeschlagene Vorgehensweise einfließen ließen.

James, vielen Dank für dieses Interview und alles Gute.

Jens Fisser | Experte für Globalchem24

Unsere Empfehlung

Wir empfehlen Ihnen, Ihre aktuellen Prozesse für den Eintritt von Zwischenfällen zu prüfen. Vergewissern Sie sich hier, dass die Person, die Notrufe entgegennimmt, dem*der Anrufenden  schnell und fundiert helfen kann. Wenn Sie feststellen, dass Ihr derzeitiges Notrufsystem nicht den Ansprüchen Ihres Notfallmanagements genügt, leiten Sie notwendige Änderungsprozesse ein. Ein externer Anbieter von 24h-Notrufdiensten kann hierfür eine optimale Lösung darstellen. Führen Sie eine Testroutine ein, damit Sie immer sicher sein können, dass Ihr Notfallmanagementsystem funktioniert und Sie bei Zwischenfällen richtig beraten werden.

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