Das Bundesverfassungsgericht im sog. Kalkar-Beschluss vom 08.08.1978 zum Atomrecht bildet bis heute für die Auslegung der unterschiedlichen Schutzniveaus (Technikklauseln) eine wichtige Fundstelle und unterscheidet drei technische Standards:
Die strengste Technikklausel ist der Stand von Wissenschaft und Technik. Das Anforderungsprofil zielt auf die neuesten technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse ab. Der Stand von Wissenschaft und Technik ist also stets auf dem neuesten Stand und ändert sich infolgedessen sehr rasch.
Dagegen setzen die allgemein anerkannten Regeln der Technik die Einhaltung des allgemeinwissenschaftlich Anerkannten und praktisch Bewährten voraus. Die darin beschriebenen Anforderungen an Verfahren, Einrichtungen und Betriebsweisen sind nach herrschender Auffassung der interessierten Kreise geeignet, die angestrebten Schutzziele zu erreichen und haben sich als praktisch und wirtschaftlich umsetzbar erwiesen. Deshalb setzen die anerkannten Regeln der Technik ein unterstes Schutzniveau an. Regeln der Technik werden meist in Fachausschüssen erarbeitet, die von legitimierten Institutionen wie z. B. der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) oder dem Deutschen Institut für Normung (DIN) eingesetzt und organisiert werden.
Zu den anerkannten Regeln der Technik gehören z. B. die DIN-Vorschriften, die Vorschriften und Richtlinien der Fachverbände (VDE, VDI, DVGW, DWA etc.), aber auch die Durchführungsverordnungen der Landesbauordnungen.
Die Normen, Arbeitsblätter und Richtlinien entsprechen nicht immer dem aktuellen technischen Kenntnisstand und beinhalten nicht immer Regeln, die sich langfristig bewähren oder bewährt haben. Technische Regeln, wie DIN-Normen und Richtlinien, Empfehlungen und technische Vorschläge, sind keine gesetzlichen Vorschriften.
Der Stand der Technik steht in dieser Reihe zwischen dem Stand von Wissenschaft und Technik und den allgemein anerkannten Regeln der Technik und wird als erforderliches Schutzniveau im deutschen Arbeitsschutzrecht verlangt. Er verzichtet auf die schon erreichte allgemeine Anerkennung, die durch die allgemein anerkannten Regeln der Technik umgesetzt ist, und bezeichnet einen fortgeschrittenen Entwicklungsstand, der zur Erreichung bestimmter praktischer Schutzzwecke als gesichert angesehen werden darf. Der Stand der Technik gibt wieder, was technisch notwendig, geeignet, angemessen und vermeidbar ist.
In § 2 Abs. 10 der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ist der Stand der Technik wie folgt definiert:
„Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme oder Vorgehensweise zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten oder anderer Personen gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Stands der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind.“
Eine ähnliche Formulierung findet sich in § 2 Abs. 15 der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV):
„Der Stand der Technik ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Stands der Technik sind insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranzuziehen, die mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind. Gleiches gilt für die Anforderungen an die Arbeitsmedizin und die Arbeitsplatzhygiene.“
Bei der Bestimmung des Stands der Technik soll der Unternehmer insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranziehen, die bereits mit Erfolg in der Praxis erprobt worden sind. Für die Bestimmung des Stands der Technik beim Verwenden von Arbeitsmitteln hat sich der Unternehmer vorrangig an den Technischen Regeln zur Betriebssicherheit (TRBS) zu orientieren. Die aktuellen technischen Regeln konnten bislang als "Stand der Technik" angesehen werden, weil sie einer permanenten Anpassung an den technischen Fortschritt unterlagen. Mit der Aufhebung einiger technischer Regeln, wie z.B. der TRD, TRB, TRR und TRG etc., werden sie nicht mehr geändert und dadurch auch nicht mehr dem Stand der Technik angepasst. Sie werden durch die Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS) ersetzt, die aber nach dem neuen Konzept nicht mehr technisch detailliert beschreiben werden.
Eine Ausnahme sind die DGUV-Unfallverhütungsvorschriften der Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaften/Unfallkassen). Diese gelten als autonomes Recht für einen begrenzten Bereich (Mitgliedsbetriebe) und sind gleichzeitig Technische Regeln.
Um weiterhin den Stand der Technik einzuhalten, müssen weitere gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Vorschriften, wie z. B. EG- bzw. EU--Richtlinien, EN-Normen, Fachveröffentlichungen von Branchenverbänden, Veröffentlichungen der BAuA, Informationen der Berufsgenossenschaften, Leitlinien etc., herangezogen werden.
Die TRGS 460 konkretisiert § 2 Abs. 15 GefStoffV und beschreibt eine Vorgehensweise zur Ermittlung des Standes der Technik. Der Stand der Technik lässt sich durch die Anwendung der nachfolgend aufgeführten fünf Schritte ermitteln:
1. Beschreibung der Tätigkeit im zu beurteilenden Arbeitssystem
2. Erfassung der bekannten Betriebs- und Verfahrensweisen
3. Ermittlung ergänzender Informationen zu Technologien aus anderen Branchen
4. Beurteilung von Maßnahmenkombinationen
5. Bestimmung und Begründung des Standes der Technik
Die Empfehlung EmpfBS 1114 zur BetrSichV „Anpassung an den Stand der Technik bei der Verwendung von Arbeitsmitteln“ befasst sich mit der Notwendigkeit der Anpassung von Arbeitsschutzmaßnahmen an den Stand der Technik für bereits in Verwendung befindliche Arbeitsmittel.
Es wird in der Empfehlung darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber dafür Sorge tragen muss, dass die Verwendung der Arbeitsmittel über die gesamte Verwendungsdauer nach dem Stand der Technik sicher ist. Dennoch ist zwischen dem Stand der Technik beim Inverkehrbringen und dem bei der Verwendung von Arbeitsmitteln zu unterscheiden.
Auch die gebrauchten Arbeitsmittel müssen beim Bereitstellen auf dem Markt sicher sein, sie brauchen allerdings nicht dem Stand der Technik von neuen Produkten entsprechen. Obwohl der Stand der Technik sich bei der Verwendung von Arbeitsmitteln im Laufe der Verwendungsdauer durch neue sicherheitstechnische Erkenntnisse verändern kann, wie z. B. das Fortschreiben einer Produktnorm, zieht eine Nachrüstverpflichtung bereits verwendeter Arbeitsmittel in Bezug auf die Beschaffenheit für den Arbeitgeber nicht zwangsläufig nach sich. Es können aber ergänzende Schutzmaßnahmen nach einer zwingend durchzuführenden Gefährdungsbeurteilung unter Anwendung des T-O-P-Prinzips erforderlich werden, wobei auch dem „Verbesserungsgrundsatz“ (§ 3 Absatz 1 Satz 3 ArbSchG) Rechnung zu tragen ist.
Im Abschnitt 3.2, Abb. 1 EmpfBS 1114 ist ein grafischer Ablauf für die Ermittlung der Schutzmaßnahmen zur sicheren Verwendung von Arbeitsmitteln nach dem Stand der Technik dargestellt.
Der Aufwand zur Ermittlung des Standes der Technik und die Ableitung der entsprechenden Schutzmaßnahmen kann sehr unterschiedlich sein. Für langjährig unverändert durchgeführte, unkritische Tätigkeit reicht grundsätzlich der Vergleich weniger Verfahren innerhalb der Branche. Bei der Feststellung des Standes der Technik für eine Hochrisikotätigkeit, wie z. B. beim Umgang mit CMR-Stoffen, ist mit einem erhöhten Ermittlungs- und Beurteilungsaufwand zu rechnen.
Die konsequente Anpassung an den Stand der Technik soll zu einer Verbesserung des Arbeitsschutzniveaus führen, weil der Stand der Technik sich an verbesserten Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen orientiert. Inwieweit diese Verbesserung in der Praxis flächendeckend zum Tragen kommt, wird von der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bestimmt werden.
Gennadiy Pykhtin | Experte für Arbeitssicherheit
Es ist zu empfehlen, die Ermittlung und Beurteilung des Standes der Technik im Rahmen der Gefährdungsbeurteilungen regelmäßig durchzuführen. Durch die fachgerechte Verknüpfung von technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen unter Beteiligung der Fachkraft für Arbeitssicherheit und/oder des Betriebsarztes gewährleisten Sie, dass die Tätigkeiten, Arbeitsabläufe und Arbeitsmittel für die an den Arbeitsplätzen gegebenen Bedingungen geeignet sind und bei deren Durchführung und Verwendung die Sicherheit und der Gesundheitsschutz entsprechend dem Stand der Technik gewährleistet sind.
Unsere Expert*innen unterstützen Sie bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilungen und bei der Überprüfung Ihres Betriebes auf Einhaltung der aktuellen gesetzlichen Vorgaben.
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