Gefahrgut

Digitalisierung im Gefahrgutrecht ist noch kein Gewinn! – Das elektronische Beförderungspapier

Das elektronische Beförderungspapier ist ein gutes Beispiel dafür, dass aus einer gut angedachten Initiative nicht immer eine gute flächendeckende Lösung entsteht. Die elektronische Lösung, die zwar für spezifische Transportarten wie Ganzladungen und Tankcontainer vorteilhaft ist, erweist sich heute bei komplexeren Transporten als schwerfällig und fehleranfällig. Vielleicht wäre eine flexible technologische Umsetzung ohne starre gesetzliche Vorgaben, ähnlich wie bei der E-Rechnung im B2B-Bereich, sinnvoller.

8 Min.

27.08.2024

Im Jahr 2007 hatte die Gemeinsame Tagung von ADR/RID und ADN auf Antrag und Federführung Deutschlands eine Arbeitsgruppe zur Gefahrguttelematik eingerichtet, um u.a. die Möglichkeiten eines elektronischen Beförderungspapiers zu prüfen und die dafür notwendigen Daten festzulegen. Erste Beschlüsse der Arbeitsgruppe wurden 2013 gefasst und in Deutschland als Auslegungshinweise des BMVI veröffentlicht. Seit dem 1.1.2016 konnten in Deutschland Fuhrunternehmen optional mit einem elektronischen Beförderungspapier fahren.

Ausweitung auf andere ADR-Staaten

Bis heute steckt die Ausweitung auf andere ADR-Staaten im Wesentlichen fest, obwohl im ADR die rechtliche Grundlage mittlerweile geschaffen (Kapitel 5.4.0.2) ist. Die Details zur Umsetzung wurden im Leitfaden für die Anwendung des Unterabschnitts 5.4.0.2 RID/ADR/ADN vom 06.01.2020 und in Deutschland in der Bekanntmachung im Verkehrsblatt Heft 4/2021 veröffentlicht.

eFTI – electronic freight transport information

Ziel ist es, die Transportdaten den Überwachungs- und Rettungsbehörden für ihre Zwecke besser verfügbar zu machen. Dieser Gedanke steckt auch in dem zukünftigen „eFTI – electronic freight transport information“-System der EU, in welches das elektronische Gefahrgut-Beförderungspapier integriert werden soll. eFTI soll mit Ausnahme des Zolls den zuständigen Behörden in der EU alle „Meldungsverpflichtungen“ von internationalen Transporten zukünftig digital verfügbar machen und damit eine effiziente Kontrolle aus der „Ferne“ ermöglichen.

Funktionen des digitalen Beförderungspapiers

Die vorgesehene Lösung für das digitale Beförderungspapier funktioniert über ein System mit 2 Instanzen (TP1 /  TP2), wobei die eine (TP1) die Zugriffsrechte (zugelassene Behörden und Stellen) verwaltet und auf der Zweiten (TP2) die eigentlichen Ladungsdaten bereitgestellt werden. Dies können sowohl firmeneigene Server sein als auch die eines Dienstleisters. In der Praxis heißt das, dass zu Beginn eines Transports (Fahrzeug und Ladung) sowie bei jeder Veränderung während der Beförderung die Daten dorthin übermittelt werden müssen.

Auch wenn die Digitalisierung von Prozessen und die Abschaffung von papiernen Belegen in aller Munde ist; praktisch gibt es nach fast 8 Jahren weiterhin nur eine überschaubare Anzahl von Nutzern für das elektronische Beförderungspapier. Da ist es angebracht einmal nach möglichen Ursachen zu schauen

Einsatz und Grenzen des digitalen Beförderungspapiers

Das derzeitige System ist aus meiner Sicht überwiegend für spezielle Transporte eine Erleichterung. Insbesondere Ganzladungen, Tanks und Tankcontainer, die eine vordefinierte Lade- und Abladestellen haben und wo alle Transportbeteiligten klar sind, können recht einfach das e-Beförderungspapier nutzen. Der Datenaustausch ist begrenzt und vor Abfahrt klar definiert, sodass auch eine Kosteneinsparung wahrscheinlich ist.

Sobald es aber regelmäßig während der Beförderung zu Veränderungen in der Ladung kommt, die dann umgehend digital dokumentiert werden müssen, ist der Aufwand erheblich. Dies ist regelmäßig bei sogenannten Stadtwagen von Speditionen, Sammelladungen und bei KEP-Diensten der Fall. In der Praxis auch nicht unüblich sind „spontane“ Mehr- oder Minderfrachten an einzelnen Verladestellen. Der Fahrer müsste jede Abweichung an die Spedition melden und von dort dem TP2 (der Datenplattform des elektronischen Systems) bereitstellen. Hierfür erscheint mir das System zu schwerfällig und anfällig für Fehler.

Wichtig ist auch zu bedenken, dass das elektronische Beförderungspapier ursprünglich nicht als Austauschformat zwischen den Transportbeteiligten konzipiert wurde. Hierfür werden von den Beteiligten unterschiedlichste Systeme und Formate (z.B. EDI) genutzt, die häufig nur bei regelmäßigen Geschäftsbeziehungen über eine abgestimmte Schnittstelle verfügen und somit den elektronischen Austausch auch von Gefahrgutinformationen ermöglichen. Viele Transportbeteiligte, insbesondere kleinere Firmen, haben zudem bis heute noch keine entsprechenden Systeme.

Selbstabholer

In der Praxis häufig anzutreffen sind die sogenannten Selbstabholer; also Fahrzeuge, die von Dritten beauftragt worden sind, Waren von einem Lager o.ä. abzuholen, ohne, dass ihnen der Hinweis auf Gefahrgut gegeben worden ist oder sie nicht über die Möglichkeiten zu digitalem Empfang haben. Hier wird oftmals das fehlende Beförderungspapier durch den Verlader bereitgestellt, um überhaupt die Beförderung zu ermöglichen. Dieser wiederum hat im Regelfall keinen Zugang zu einem TP2 (siehe oben).

Veraltete Technologie

Eine digitale Lösung für ein Regelwerk, dessen Entwicklungszeit länger als 10 Jahre in Anspruch genommen hat, muss sich gefallen lassen, als alt und dem aktuellen Stand der digitalen Entwicklung nicht mehr angepasst, tituliert zu werden.

In der heutigen Zeit muss eine Lösung einfach und mobil funktionieren können, um eine Akzeptanz zu finden. Jeder Fahrer hat ein Handy und/oder Tablett und kann damit z.B. QR-Codes auslesen und vor Ort die Informationen kumulieren ggfls. sogar gleich gegen eine Datenbank auf Richtigkeit prüfen und Hinweise auf anzuwendende Regeln erhalten.

Besser keine technologische Vorgabe durch den Gesetzgeber

Aus meiner Sicht sollte der Gesetzgeber wie er es heutzutage zunehmend tut, davon Abstand nehmen eine Technik/Technologie o.ä. festzuschreiben, sondern dies anderen Gremien (Normungsausschüssen o.ä.) überlassen und sich vollständig auf eine klare und eindeutige Beschreibung des Regelungsziels konzentrieren (New Legislative Framework der EU).

Beispielsweise ist im Wachstumschancengesetz der Bundesregierung u.a. eine Verpflichtung zur digitalen Übermittlung von Rechnungen (eRechnung) im B2B-Bereich verankert worden. Neben der Definition, was eine E-Rechnung ist und was nicht (z.B. ein pdf-Dokument ist es zukünftig nicht mehr), wird ansonsten auf den Inhalt entsprechender EU-Normen verwiesen. So bleibt es den Wirtschaftsbeteiligten überlassen, wie sie dieses Ziel der elektronischen Übermittlung und Verarbeitbarkeit erreichen; nur die Verpflichtung zum Austausch haben sie. Dies könnte eine Blaupause für zukünftige Regelungen auch im Gefahrgutbereich sein, um es zu ermöglichen, auch andere als die im ADR verankerte Technologie (TP1/TP2) zu nutzen, z.B. wo schon eine entsprechende Infrastruktur vorhanden ist; wie in den großen deutschen Häfen.

Fortschrittlich bei der Implementierung von eFTI (s.o.) ist auf jeden Fall, dass in einem ersten Schritt die Behörden verpflichtet werden, eine digitale Infrastruktur zum Empfang dieser Daten zu schaffen und die Wirtschaft vorerst die Meldungen freiwillig machen kann. Dies wird sich aber dann ändern, wenn die Systeme auf der Behördenseite wirklich implementiert und lauffähig sind. So ist die Wirtschaft in der Lage sich auf ein neues System längerfristig einzustellen und entsprechende Systemanpassungen vorzunehmen.

Insellösung beim digitalen Beförderungspapier vermeiden

Die Lösung für das digitale Beförderungspapier ist in der zunehmend digital geprägten Vorschriftenlandschaft eine Insellösung, die unabgestimmt mit anderen Vorschriften im Raum steht. Die Gefahrgutdaten sind nur einer von vielen Aspekten der Produktsicherheit und der für das Inverkehrbringen von chemischen Produkten notwendigen Daten. Sie wurden in den Betrieben oftmals auch zusammen mit dem Sicherheitsdatenblatt, den Angaben für die Etikettierung und der Zuordnung von Verpackungen ermittelt.

Die Struktur bei der UN, dass die Subkommittees TDG (Transport of Dangerous Goods) und GHS (Globally Harmonized System of Classification and Labelling) Geschwister sind und im UN SC TDG/GHS vereint wurden, ist hier kein Zufall, sondern zeigt an, wie die Zukunft aussehen könnte.

So sehen wir in verschiedenen Ländern Anforderungen gelingen, die den QR-Code zu einer Verpflichtung für bestimmte Informationen machen (u.a. China). Auch in der neuen Öko-Design-Verordnung (2024/1781: VO zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Öko-Design-Anforderungen für nachhaltige Produkte) ist der digitale Zugang von Beteiligten zu umfassenden Produktinformationen per QR-Code verpflichtend verankert (DPP = Digitaler ProduktPass). Der digitale Produktpass wird in seiner technologischen Ausprägung voraussichtlich durch einen neu gegründeten Normungsausschuss in Technologie und Struktur erarbeitet.

Es ist absehbar, dass dann auch die Gefahrgutdaten eines Produktes, wahrscheinlich sogar die Inhalte des Sicherheitsdatenblattes, für die Anwender eines Produktes über einen QR-Code verfügbar sein werden.

Ulf Inzelmann | Experte für Gefahrgut und Geschäftsleitung

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